Bleiberechtskämpfe, -kampagnen, -initiativen, die gibt es schon lange, sind und waren immer wesentlicher Bestandteil antirassistischen Engagements. Soweit nichts Neues. Ich würde mit diesem Beitrag aber gerne die Debatte um eine große, gemeinsame Bleiberechtskampagne im Jahr 2011 lostreten. Ich halte es für sehr wichtig, sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen, und lade euch ein, gemeinsam mit mir zu diskutieren. Meine Kommentarspalte ist offen, hinterlaßt eure Gedanken und Ideen. Leute mit antira.info und jogspace.net accounts können direkt kommentieren, ihr müsst nur eingeloggt sein.
die aktuelle situation
Nur um kurz zu rekapitulieren: Wir hatten Ende 2006 eine Bleiberechtsregelung durch die Innenministerkonferenz, gefolgt von einer ergänzenden bundesgesetzlichen Regelung 2007. Für die Bewegung gesehen war die Mobilisierung rund um das Thema ein Erfolg (so mancheR schwärmt immer noch von der Demo in Nürnberg), aber das, was rauskaum, war nicht wirklich der Bringer. Zwar haben wohl einige Zehntausend Menschen einen Aufenthalt erhalten, aber für einige war das ein Aufenthalt auf Probe, viele Leute sind aus der Regelung ausgeschlossen worden, und es war eben nur eine Stichtagsregelung, keine permanente Regelung.
Ende 2009 wäre die gesetzliche Regelung eigentlich ausgelaufen. Die Innenministerkonferenz im Herbst 2009, wie immer begleitet durch die Proteste von JOG, rettete sich in eine weitere Halbzeit. Es war schon vor der IMK klar, dass es nicht den Mut geben würde, eine permanente Aufstiegsmöglichkeit aus der Duldung zu schaffen, also wurde die Stichtagsregelung einfach um zwei weitere Jahre verlängert. Das hat zum einen keinen weiteren Leuten eine Chance auf Bleiberecht gebracht, weil es sich nur auf die bezog, die rechtzeitig die Regelung beantragt hatten, zum anderen zeugte es auch einfach nicht von politischem Mut. Die CSU durfte wieder die alte Keule “Einwanderung in die Sozialsysteme” auspacken, die SPD versuchte, etwas humanitärer daherzukommen. Es war ein abgekartetes Spiel, und am Schluß kam raus, was alle erwartet hatten. Nur dass sich die Innenminister gleich zwei Jahre Verschnaupause gegönnt hatten, war etwas unerwartet.
zwei tausend und elf
Ende 2011 wird also die Verlängerung der Bleiberechtsregelung auslaufen. Es ist unwahrscheinlich, dass es eine weitere Verlängerung geben wird. Dafür gibt es mehrere Indizien.
So kündigte Bundesinnenminister de Maizière laut Süddeutscher Zeitung an, sich für eine grundsätzliche Regelung des Problems “Bleiberecht für Geduldete” in Form eines Bundesgesetzes ab 2012 einsetzen zu wollen.
Dabei lese ich das ab 2012
als: im direkten Anschluß an das Auslaufen der verlängerten Bleiberechtsregelung am 31.12.2011. Sprich, nach dem Plan der Regierung sollte wohl am 1.1.2012 ein neues Gesetz in Kraft treten, welches an Stelle der Stichtagsregelung eine rollierende Regelung stellen wird (so meine Mutmaßung).
Letztes Jahr kam in der EU mal wieder eine Diskussion auf, ob Flüchtlinge/Asylsuchende nicht nach einem Schlüssel (a la Königsteiner Schlüssel) auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Das wäre das faktische Ende von Dublin II, und – no surprise – der ehemalige Bundesinnenminister Schäuble hat es dann auch prompt abgelehnt. Interessant war jedoch sein Argument. Er sagte (nicht wortwörtlich, ich finde die Quelle gerade nicht), dass Deutschland keine weiteren Asylsuchenden aufnehmen können, weil das Land immer noch damit beschäftigt sei, mit der großen Anzahl von Asylsuchenden aus den 1990er Jahren klar zu kommen. Das ist zwar einerseits eine Frechheit, illustriert aber wohl ganz gut, wie das auf Regierungsebene wahrgenommen wird: Die Duldung, eh nie als langfristiger Nichtaufenthaltstitel angelegt und die hohe Zahl von Leuten, die seit vielen Jahren mit Duldung leben und keine Aufstiegsmöglichkeit in die AE haben, sind eine Spätfolge der 1990er Jahre mit Änderung Art. 16 GG und Einführung AsylbLG. Und im Jahr 2010, also über 15 Jahre später, müßte da doch mal ein klarer Schnitt her. Und so denken eben nicht nur wir, sondern auch die, die die Gesetze machen. Würde ich zumindest behaupten.
die 1990er Jahre endlich beenden
Spätestens 2011 wird es also eine Debatte um eine Bleiberechtsregelung geben, die den Ausstieg aus den Kettenduldungen auf Jahre festschreiben könnte. Hinzu kommt, dass der Koalitionsvertrag CDUCSUFDP eine Evaluierung des AsylbLG hinsichtlich des Sachleistungsprinzips vorsieht und auch die Residenzpflicht überdacht werden soll. Klar bedeutet ein Koalitionsvertrag nicht viel (auch wenn die FDP-Fraktionsvorsitzende eigentlich jeden Abend erklärt, dass das passieren wird, was da drin steht), aber es geht hier um eine allgemeine Einschätzung der politischen Lage.
Und ich würde mich einfach so weit aus dem Fenster hängen und behaupten, dass die Lage eher gut als schlecht ist (aber wir in München sind ja auch immer eher RealistInnen, die auf Sieg setzen). Eine Bleiberechtsregelung muß so oder so her, das Sachleistungsprinzip besonders mit dem Lagerzwang ist sehr angeknackst, die Residenzpflicht ist auch am Wanken und die rassistische Pogromstimmung der 1990er Jahre ist vorbei. Das große Thema ist längst Integration, und die Asylbewerberzahlen sind so niedrig, dass sich die Staatskampagne der 1990er Jahre auch nicht wieder beleben lassen wird.
Außerdem ist eine rechte Regierung an der Macht. Rotgrün macht Krieg und Hartz IV, schwarzgelb macht Bleiberecht. Das ist keine Frage von Verwechslung von links und rechts, sondern einfach, wer welche Mehrheiten in der Bevölkerung mobilisieren kann.
Und in dieser Lage sollten wir alle gemeinsam intervenieren und dafür kämpfen, dass die Bleiberechtsregelung und/oder sogar dieses kommende Gesetzespaket, welches das schwarzgelbe Zuwanderungsgesetz sein könnte und einen Schlußstrich unter die Politik der 1990er Jahre setzen könnte, so inklusiv wird wie nur irgend möglich. Es darf uns nicht wieder wie beim Zuwanderungsgesetz passieren, dass wir uns erst danach fragen, was da eigentlich drin steht, sondern wir müssen von Anfang an die Diskussion bestimmen. Das wir dazu gemeinsam in der Lage sind, daran besteht kein Zweifel. Unter dem Banner des Bleiberechts haben die letzten Jahre immer die größten Demonstrationen stattgefunden. Viele Initiativen arbeiten vor Ort an solchen Themen (wir auch). Das Thema ist in der Presse schon rauf- und runtergelaufen und damit gut vermittelt. Jetzt würde es nur noch darum gehen, das Jahr 2010 zu nutzen, um Verabredungen zu treffen, damit wir 2011 dann von Anfang an gemeinsam losschlagen können. Ein Vorlauf von über einem Jahr, welch’ Luxusposition!
forderungen
Wie könnten Forderungen aussehen, mit denen wir in eine solche Diskussion einsteigen?
Für das rollierende Bleiberecht würde ich eine Regelung von 18 Monaten vorschlagen. Nach 18 Monaten Duldung muss zwingend eine AE her, staatliche Tricksereien von wegen mangelnder Mitwirkungspflicht
etc. gelten nicht. Das Schöne ist, dass diese 18 Monate schon im Zuwanderungsgesetz stehen (AufenthG §25 (5)). Es gibt also keinen vernünftigen Grund, dahinter zurückzufallen.
Aufhebung der Residenzpflicht, Abschaffung des AsylbLG oder zumindest Aufhebung des Sachleistungsprinzips + Anpassung der Sätzen wären auch schon mal konkrete Forderungen. Da kenne ich mich aber nicht so gut aus. Ich weiß, dass einige Leute gleich wieder “Reformist” schreien werden, aber ich denke, wenn wir die Kampagne gewinnen wollen, können wir einfach nicht mit “noborder” einsteigen. Das wäre dann doch etwas zu viel verlangt. Ich denke aber, dass die Kampagne nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie genau Platz bietet, die absoluten Maximalforderungen auch zu artikulieren und auszuargumentieren. Nur so werden wir inspirieren und Leute hinzugewinnen. Mir wäre es persönlich wichtig, dass das Spektrum der Kampagne möglichst breit und heterogen ist und auch den internen Widerspruch zulässt. Nur so können wir zu einer Bewegung kommen, die unberechenbar und damit erfolgreich ist.
Was denkst Du?